Der neue Staatschef Venezuelas hat auf demokratischem Weg eine Machtfülle erreicht, um die ihn viele Amtskollegen in Lateinamerika beneiden. Die ersten Bewährungsproben hat er erstaunlich gut bestanden.
Er hat Venezuela von der Herrschaft der korrupten Parteien befreit, bedient sich bei der Neugründung der Nation nur mehr friedlicher Mittel und verspricht das Paradies. 80 Prozent der Bevölkerung, so die Umfragen, stehen voll hinter den Reformplänen des ehemaligen Militärs, der vom gescheiterten Putschisten zum gefeierten Staatsmann mutierte.
Die populistischen Methoden des Präsidenten werden nur von Intellektuellen und politischen Gegnern kritisiert. Aber in einem Land, wo 70 Prozent der Menschen unter der Armutsgrenze leben und die meisten Erwachsenen funktionelle Analphabeten sind, steigern sie nur noch die Popularität des Staatschefs. Die Einschaltquoten seiner Fernsehsendung, „Hallo, Präsident“, in der er jede Woche für Fragen und Beschwerden der Bevölkerung zur Verfügung steht, können sich mit jeder Telenovela messen.
Die jüngsten Umfrageergebnisse, wonach 80% der Venezolanerinnen und Venezolaner hinter ihm stehen, gibt er bevorzugt selber bekannt.
Der Präsident ist bisher so erfolgreich, daß selbst die Politiker in den USA sich hüten, den demokratischen Charakter seiner Regierung öffentlich anzuzweifeln. So schnell wird man vom Kriminellen zum gefeierten Staatsmann. Nach seinem gescheiterten Putschversuch gegen Präsident Carlos Andrés Pérez im Februar 1992 verbüßte der junge Fallschirmjägeroffizier zwei Jahre im Gefängnis. Rebellion und Haft verschafften ihm jene Aura des Kämpfers gegen Korruption und Packelei, die ihn später in höchste Sphären der Politik katapultieren sollte.
Präsident Rafael Caldera, der seinen Wahlsieg 1993 nicht zuletzt seiner Verteidigungsrede für die Putschisten im Senat von Caracas zu verdanken hatte, fand es politisch ratsam, ihn zu begnadigen. Daß Chávez ihn einige Jahre später politisch beerben würde, hätte er wohl nicht für möglich gehalten. Seiner sozialrevolutionären Rhetorik und dem forschen Auftreten hatten die traditionellen Parteien wenig entgegenzusetzen. Ihre Verantwortung für das Verschleudern des immensen Ölreichtums wurde ihnen in Zeiten wirtschaftlicher Rezession zum Galgenstrick.
Zwar konnten die sozialdemokratische Acción Democrática (AD) und die christdemokratische Copei bei den Parlamentswahlen im November 1998 noch einmal eine gemeinsame Mehrheit erreichen, doch schon ein paar Wochen später scheiterten alle Versuche, Hugo Chávez von der Macht fernzuhalten. Im Dezember wurde er mit absoluter Mehrheit zum Präsidenten gewählt.
Seither laufen die Ereignisse im Zeitraffertempo ab. Chávez setzte sein Lieblingsprojekt der Verfassunggebenden Nationalversammlung durch, um die Reste des Ancien Régime wegzufegen. Die Wahlen zur Constituyente am 25 Juli brachten einen so überwältigenden Erfolg für den „Polo Patriótico“, die Allianz des Präsidenten, daß die alten Politikstrukturen zusammenbrachen.
Mit 120 von 131 Sitzen hat er eine Mehrheit, die wohl nur mehr im Parlament von Nordkorea ihresgleichen findet.
Dermaßen gestärkt gelang es ihm, ohne offenen Verfassungsbruch die von der Opposition kontrollierten Staatsgewalten, nämlich die Justiz und das Parlament, außer Gefecht zu setzen. Kongreß und Constituyente teilen sich die legislativen Aufgaben bis zu Neuwahlen, die für Dezember angesetzt wurden. Das ist der Kompromiß, der nach tagelangen, teils brachial geführten, Auseinandersetzungen im August erzielt wurde.
Chávez widerstand der Versuchung, seinen radikalsten Anhängern nachzugeben und den alten Kongreß gewaltsam aufzulösen. Er weiß, wenn im November eine Volksabstimmung die neue Verfassung absegnet, hat er einen Freibrief für 14 Jahre an der Macht.
Was Hugo Chávez mit dieser Macht im Schilde führt, weiß wohl niemand. Offensichtlich ist, daß er sich durch legale Spitzfindigkeiten nicht von seinem Weg abbringen läßt. Wenn sich sein Wille verfassungskonform durchsetzen läßt, so zieht er diesen Weg vor, wenn nicht, dann sind ihm auch andere Methoden willkommen. Als der Oberste Gerichtshof vor einigen Monaten seine Liste der zur Beförderung anstehenden Offiziere beeinspruchte, setzte sich der Präsident über das Höchstgericht hinweg. Er sprach ihm die moralische Autorität ab, seinen Kameraden, die ihn 1992 beim Putschversuch begleitet hatten, das Aufrücken vor der Zeit zu verweigern.
Als der Kongreß Chávez im März die gewünschten Sondervollmachten verweigerte, ließ er den Generalstab antreten, um eine militärische Intervention im Stil von Perus Alberto Fujimori anzuordnen und das Parlament kurzerhand aufzulösen. Die Generäle machten damals nicht mit und das plötzliche Einlenken der Parlamentarier verhinderte eine derartige Zwangsmaßnahme .
Daß er es ernst meint, mit dem Feldzug gegen die Korruption, hat Hugo Chávez bereits demonstriert. Nicht weniger als 117 Richter, denen Bestechlichkeit vorgeworfen wird, wurden vom Dienst suspendiert. Gegen insgesamt 3000 ermittelt die Verfassunggebende Versammlung. Den sozialdemokratischen Ex-Präsidenten Jaime Lusinchi (1985-1989) und Carlos Andrés Pérez (1974-1978 und 1989-1992) droht ein Verfahren wegen Veruntreuung von Staatsgeldern.
Auch mit den Funktionären des allmächtigen Gewerkschaftsbundes CTV, der in über 4000 Einzelgewerkschaften mehr als zwei Millionen Mitglieder zählt, hat sich die Regierung angelegt.
Ähnlich wie in Mexiko und Argentinien sind viele Gewerkschaftsbosse eng mit Politik und Kapital verflochten und paktieren häufig hinter dem Rücken der Arbeiterschaft. Um eine Verurteilung durch die Internationale Arbeitsorganisation ILO zu vermeiden, verzichtet Chávez zwar auf die Auflösung der CTV, hat aber gerichtliche Untersuchungen gegen 2000 Gewerkschaftsfunktionäre eingeleitet.
Chávez, der Hoffnungsträger der lateinamerikanischen Linken und Buhmann der Konservativen, hat vieles angegangen und die ersten Bewährungsproben erstaunlich gut bestanden. Er kann nicht nur befehlen sondern auch zuhören.
Er genießt seine Machtfülle, macht aber bisher sparsam von ihr Gebrauch. Aber wenn er den Versuchungen der Macht auf lange Sicht widerstehen könnte, müßte er ein Heiliger sein.
Der Autor arbeitete viele Jahre als Korrespondent verschiedener deutschsprachiger Medien in Zentralamerika und lebt nun als freier Journalist in Wien.
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